5. Übersetzung


5.1. Einleitung und Herkunft
(1) Von welchem Charakter ich, der ich stets mit den zarten Liebschaften mein Spiel trieb (oder: der ich mich stets mit zarter Liebesdichtung beschäftigte), eigentlich gewesen bin, vernimm, o Nachwelt, damit du weißt, von wem du liest. Sulmo - überreich an kühlen Wassern - ist meine Heimat, das neunzig Meilen von Rom entfernt ist. Hier kam ich zur Welt und zwar - damit du die genauen Zeitumstände kennst - als beide Konsuln durch das gleiche Schicksal fielen. Wenn es denn etwas bedeutet: Als einer, der als Erbe seines Standes von alters her in ununterbrochener Reihe auf die Urahnen zurückblicken kann, wurde ich nicht eben erst durch die Gabe des Glücks zum Ritter gemacht. Und ich war nicht der Erstgeborene: Ich kam zur Welt, als mein Bruder schon geboren war, der zwölf Monate zuvor das Licht der Welt erblickt hatte. Derselbe Morgenstern war bei den Geburtstagen beider zugegen, ein einziger Tag wurde durch zwei Geburtstagskuchen gefeiert. Dieser ist von den fünf Festtagen der waffentragenden Minerva der, der als erster durch den Kampf blutig zu werden pflegt.

5.2. Ausbildung und erste dichterische Versuche
(15) Schon in zarter Jugend erhielten wir unverzüglich unsere Ausbildung, und aufgrund der Sorgfalt des Vaters gingen wir dann zu den durch ihre Bildung herausragenden Männern Roms. Mein Bruder strebte von frühestem Alter an zur Beredsamkeit, da er geradezu für die heftigen Waffen des wortreichen Forums geboren war; doch mir gefielen schon als Kind die himmlischen Weihen, und verstohlen zog mich die Muse zu ihrem Werk. Oft sagte der Vater zu mir: "Warum versuchst du dich an brotlosen Künsten? Selbst Homer hinterließ keine Reichtümer." Durch die Worte war ich bewegt, und nachdem ich dem Helikon ganz den Rücken gekehrt hatte, versuchte ich, Worte zu schreiben, die von Versmaßen frei sind. Von selbst kam das Gedicht zu den passenden Rhythmen, und was ich zu schreiben versuchte, wurde zum Vers.

5.3. Versuch, politische Karriere zu machen
(27) In der Zwischenzeit, während mit leisem Schritt die Jahre vorüberglitten, wurde von meinem Bruder und mir die toga virilis ergriffen, das Purpurgewand mit dem breiten Streifen legten wir uns um die Schultern, und uns blieb das gleiche Streben wie zuvor. Schon hatte der Bruder das Alter von zwanzig Jahren erreicht, als er starb, und ich begann, einen Teil meiner selbst zu entbehren. Ich ergriff die ersten Ehrenstellungen meines zarten Alters, und am Kollegium der tresviri hatte auch ich einst teil. Die Kurie blieb übrig: das Maß des Streifens wurde verkleinert; zu groß war jene Last für meine Kräfte. Weder war der Körper in der Lage noch der Geist geeignet, Mühen zu ertragen, und ich begab mich auf die Flucht vor dem in Unruhe versetzenden Ehrgeiz. Die Aonischen Schwestern rieten zu einem sicheren Leben fernab vom Staat, das ich nach meinem eigenen Urteil immer geliebt hatte.

5.4. Ovid in der literarischen Öffentlichkeit seiner Zeit
(41) Die Autoren jener Zeit verehrte ich mit heißem Herzen, und wieviele Dichter zugegen waren, glaubte ich, daß ebensoviele Götter da seien. Oft las mir der ältere Macer von seinen Vögeln vor und davon, welche Schlange schadet und welches Kraut nützt. Oft pflegte Properz von seiner Liebesglut vorzutragen, aufgrund des Rechts unserer Gemeinschaft, durch das er mir verbunden war. Ponticus, berühmt wegen seiner Epen, und auch Bassus, berühmt durch seine Jamben, waren hochwillkommene Mitglieder meines Lebenskreises, und Horaz ließ mich gebannt zuhören, während er italische Lyrik voller Bildung und Geschmack vortrug. Vergil habe ich nur gesehen, und auch dem Tibull gab das habgierige Schicksal keine Zeit zur Freundschaft mit mir. Er war dein Nachfolger, Gallus, Properz der seine, ich selbst folgte diesen in zeitlicher Reihenfolge als vierter unmittelbar nach. Und wie ich die Älteren, so verehrten mich die Jüngeren und binnen kurzem wurde meine von Thalia inspirierte Dichtung bekannt. Als ich zum ersten Mal meine Gedichte öffentlich vorlas, war mir der Bart zwei oder ein Mal geschnitten worden. Meine Begabung hatte das Mädchen bewegt, das in der ganzen Stadt besungen wurde und von mir mit erdichtetem Namen Corinna genannt worden war. Zwar habe ich vieles geschrieben, doch was ich für fehlerhaft hielt, übergab ich selbst dem Feuer zur Korrektur. Auch damals, als ich floh, verbrannte ich einiges, was sonst gefallen würde, erzürnt über mein Streben und meine Gedichte.

5.5. Ehe und Familie
(65) Ich hatte ein Herz voller Zärtlichkeit, das leicht von den Pfeilen Cupidos zu erobern war und das schon ein geringfügiger Anlaß in Bewegung versetzte. Obwohl ich so war und durch den kleinsten Funken in Flammen geriet, war dennoch mit meinem Namen kein übles Gerede verbunden. Als ich noch fast ein Knabe war, wurde mir eine nichtswürdige und nichtsnutzige Ehefrau gegeben, die nur kurz mit mir verheiratet war. Ihr folgte eine Gattin, die, obwohl man ihr nichts vorwerfen konnte, dennoch nicht beständig in meinem Ehebett bleiben sollte. Die letzte, die bei mir bis in mein weit fortgeschrittenes Alter geblieben ist, hat es erduldet, die Ehefrau eines Verbannten zu sein. Meine Tochter, die in ihrer frühen Jugend zweimal schwanger war, aber nicht von einem einzigen Ehemann, machte mich zum Großvater.

5.6. Tod der Eltern
(77) Und schon hatte der Vater sein Schicksal erfüllt und neun Jahrfünften weitere neun hinzugefügt. Ich weinte nicht anders, als er mich nach meinem Tod beweint hätte. Den Scheiterhaufen für die Mutter errichtete ich als nächsten. O glücklich sind beide und rechtzeitig begraben, weil sie vor dem Tag meiner Strafe verstorben sind! O auch ich Glücklicher, weil ich nicht zu ihren Lebzeiten im Elend bin und weil sie sich nicht um mich grämen mußten. Wenn dennoch Verstorbenen etwas außer dem bloßen Namen bleibt und der zarte Schatten dem errichteten Scheiterhaufen entflieht: Wenn das Gerücht über mich, ihr Seelen meiner Eltern, zu euch gelangt ist und auf dem Forum der Unterwelt die Vorwürfe gegen mich verhandelt werden, so wißt - ich bitte euch - (und ich habe kein Recht, euch zu täuschen), daß der Grund für die befohlene Flucht ein Irrtum, kein Verbrechen ist.

5.7. Verbannung nach Tomis
(91) Den Totengöttern ist es damit genug, zu euch, ihr Wißbegierigen, kehre ich zurück, die ihr nach den Taten meines Lebens fragt. Schon waren graue Haare erschienen, da die besten Jahre verflogen waren, und hatten sich unter die früheren gemischt, und zehnmal hatte seit meiner Geburt ein siegreicher Reiter, bekränzt mit dem olympischen Ölzweig den Preis davongetragen, als mir in seinem Zorn der gekränkte Princeps [Augustus] befiehlt, das am linken Ufer des Schwarzen Meeres gelegene Tomis aufzusuchen. Der Grund für mein Verderben ist allen viel zu bekannt und darf durch eine unverhüllte Aussage meinerseits nicht bezeugt werden. Was soll ich vom Unrecht der Begleiter und von schuldigen Dienern berichten? Vieles wesentlich Schwerere habe ich durch die Flucht selbst erduldet. Mein Geist hielt es für unwürdig, dem Übel zu unterliegen, und erwies sich als unbesieglich, indem er von seinen eigenen Kräften Gebrauch machte. Ich vergaß mich und mein im Nichtstun verbrachtes Leben und ergriff dann mit ungeübter Hand die Waffen, die die Zeit erforderte. Und zu Wasser und zu Lande ertrug ich so viele Schicksalsschläge, wie es zwischen dem sichtbaren und unsichtbaren Himmelspol Sterne gibt. Endlich erreichte ich, nachdem ich in langen Irrfahrten umhergetrieben worden war, die Küste, die mit dem Gebiet der köchertragenden Geten aus dem Volk der Skythen verbunden ist. Obwohl ich hier in nächster Nähe von Waffen umtost werde, versuche ich, mein trauriges Schicksal durch ein Gedicht, dem einzigen zur Verfügung stehenden Mittel, zu lindern. Obwohl es niemanden gibt, zu dessen Ohren es gelangen könnte, verbringe ich so dennoch unter Selbsttäuschung meine Tage.

5.8. Ovids Überleben in seinem Werk
(115) Dafür also, daß ich lebe und den harten Mühen widerstehe und mich nicht der Überdruß vor dem sorgenvollen Leben packt, sei dir, Muse, Dank: Denn du gewährst mir Trost, du kommst in der Sorge als Ruhe und als Heilmittel dagegen. Du bist Führerin und Begleiterin, du führst mich weg von der Donau und gibst mir mitten auf dem Helikon einen Platz. Du hast mir, was selten ist, zu Lebzeiten einen berühmten Namen gegeben, den erst nach dem Begräbnis der Ruhm zu geben pflegt. Und auch der Neid, der Gegenwärtiges in den Schmutz zieht, konnte mit seinem ungerechten Biß keines meiner Werke annagen. Denn obwohl mein Zeitalter große Dichter hervorbrachte, war der Ruhm meiner Begabung sehr gewogen, und obwohl ich selbst viele mir voranstelle, nennt man mich nicht geringer als jene, und ich werde auf dem ganzen Erdkreis am meisten gelesen. Wenn also die Voraussagen der Seher irgendetwas Wahres an sich haben, dann werde ich, mag ich auch sofort sterben, Erde, dir nicht gehören. Ob ich durch mein Ansehen oder ob ich durch dieses Gedicht mir dauernden Ruhm erworben habe - mit Recht statte ich dir, geneigter Leser, meinen Dank ab.


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