Jürgen Malitz: Gnomon Bibliographische Datenbank. Internationales Informationssystem für die Klassische Altertumswissenschaft. München: Beck 1996. DM 598,--, jährliche Updates DM 298,--.
Rezension von Ulrich Schmitzer (ersch. im "Gymnasium")

Wer sich derzeit auf dem Gebiet der Altertumswissenschaften bibliographisch auf aktuellem Stand orientieren möchte, sieht sich vor eine schwierige Situation gestellt: Die Zahl der Publikationen nimmt immer rascher zu, während die traditionellen Instrumente, allen voran die Année philologique, immer weniger in der Lage sind, diese Flut aktuell aufzuarbeiten. Daß aus dieser Malaise sich ausgerechnet unter dem ehrwürdigen Titel des "Gnomon" ein Ausweg zeigen würde, war nicht unbedingt zu erwarten, sind doch äußere Erscheinungsform wie innere Struktur dieser Rezensionszeitschrift seit den 20er Jahren so gut wie unverändert. Es ist Jürgen Malitz, dem Ordinarius für Alte Geschichte an der Katholischen Universität Eichstätt, zu verdanken, daß das bibliographische Material des "Gnomon" mit den Mitteln der Datenverarbeitung nutzbar gemacht wurde, so daß die "Gnomon Bibliographische Datenbank" (GBD) entstanden ist.
Obendrein hat J. Malitz die in sieben Jahrzehnten gesammelten bibliographischen Schätze des "Gnomon" um Zeitschriftenbeiträge ergänzt, die in der gedruckten Fassung nicht enthalten sind, außerdem um die Rezensionen aus dem "Gnomon" selbst sowie aus AAHG, AJA, CR, GGA, JHS und JRS. Hinzu kommen noch 8000 deutsche altertumswissenschaftliche Dissertationen (1902-1995). Insgesamt ist damit zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein Datenbestand von beeindruckenden 180 000 Einträgen geschaffen und auf eine einzige CD gepreßt. Um es vorweg zu sagen: Auf diese Weise ist ein Instrument entstanden, das das Alltagsgeschäft der Literatursuche in den Altertumswissenschaften nicht nur wesentlich erleichtert, sondern sogar auf eine neue Grundlage stellt.
Im folgenden soll nicht allzu viel von technischen Dingen die Rede sein, statt dessen geht es darum, bisher noch kaum mit solchen elektronischen Hilfsmitteln Vertrauten die Schwellenangst zu nehmen und über die Möglichkeiten und Grenzen zu informieren. Es genügt also, darauf hinzuweisen, daß für die Nutzung ein PC mit dem Betriebssystem Windows 3.x oder Windows 95 und ein CD-ROM-Laufwerk nötig sind (auf Anfrage ist zwar auch eine Diskettenversion erhältlich, doch dürfte sie wesentlich weniger komfortabel sein). Für die Installation, die im beigefügten Handbuch ausführlich beschrieben ist, sind keinerlei Spezialkenntnissse erforderlich. Unsere praktischen Erfahrungen wurden mit einem PC vom Typ Pentium 133 mit 32 MB RAM, einem 12fach CD-Laufwerk und dem Betriebssystem Windows 95 erhoben, bei anderen Systemkonfigurationen können sich Details davon unterschiedlich darstellen.
Die GBD beruht auf dem professionellen Datenbanksystem LIDOS, das von dem mit sonstigen Windows-Anwendungen Vertrauten zunächst ein wenig Eingewöhnung erfordert, aber einen hohen Grad an Programmstabilität, verbunden mit flexiblen Suchmöglichkeiten, bietet. Es empfiehlt sich aber dringend, die übliche Scheu der Computerbenutzer vor schriftlichen Dokumentationen abzulegen und zunächst das beigegebene Handbuch und die illustrierenden Beispieldateien durchzuarbeiten (auch wenn das bei einer Installation in öffentlichen Bibliotheken oftmals organisatorisch nicht ganz einfach ist). Die geringe Mühe wird durch einen wesentlich höheren Erfolg bei gezielter Recherche belohnt.
Die GDB stellt eine Reihe von verschiedenen Recherche-Optionen bereit, wie nun am Beispiel des Velleius Paterculus illustriert werden soll. Am schnellsten geht die sog. "Deskriptorenrecherche" von statten, die sich der von der GDB-Redaktion vergebenen Schlagwörter bedient. Diese können entweder aus einem hierarchisch bzw. alphabetisch geordneten Thesaurus ausgewählt werden oder direkt in die Eingabemaske des Programms geschrieben werden. Letzteres ist besonders einfach bei antiken Auoren, bei denen sich der Thesaurusbegriff aus der Natur der Sache selbst ergibt. Sucht man nun also nach Velleius (bzw. vell, was als Eingabe schon genügt), so erhält man (bei unserer technischen Ausstattung) in weniger als sieben Sekunden (!) insgesamt 43 Titel aus der Zeit zwischen 1898 und 1993.
Hier nun zeigt sich allerdings, daß auch ein präzises Computerprogramm nur so gut wie die ihm eingegebenen Daten ist. Denn leider sind nicht alle einschlägigen Titel auch bei der Indizierung erfaßt, wie eine Kontrollrecherche im Volltext ergibt. Sucht man im "Titelfeld" nach dem Begriff vellei, um auch den Genitiv Vellei oder den Akkusativ Velleium zu erfassen, dann dauert der Vorgang zwar knapp 45 Sekunden (immer noch kürzer, als bis man auch nur einen einzigen Band des "Gnomon" in der Bibliothek aus dem Regal genommen und die gewünschte Stelle in der bibliographischen Beilage gefunden hätte), dafür werden dann aber 62 Titel angezeigt. Davon sind allerdings vier zu eliminieren, die sich mit dem italischen Ort "Vel(l)eia" befassen, so daß insgesamt 58 Treffer bleiben, darunter als frühester ein Aufsatz Theodor Mommsens von 1849 "Ueber zwei roemische Kolonien bei Velleius Paterculus". Dieser Befund, der auch anhand anderer Suchvorgänge verifiziert wurde (Pausanias, Ovids Ibis), sollte vor blindem Glauben an die Omnipotenz der Technik warnen. Allerdings darf man nicht das Kind mit dem Bade ausschütten: In Fällen, in denen ein bestimmter Sachverhalt oder ein bestimmter größerer thematischer Komplex nicht durch ein einziges oder nur wenige genau definierbare Stichwörter zu beschreiben ist, stellt der Thesaurus der GDB eine unverzichtbare Hilfe dar. Das betrifft vor allem den philologischen und noch mehr den historischen Bereich, während für die Archäologie das Netz der Suchbegriffe ein wenig grobmaschig ist, was angesichts der Schwerpunkte des gedruckten "Gnomon" nicht weiter verwundert.
Das einmal erhobene Ergebnis läßt sich nach den verschiedensten Kriterien sortieren - am wichtigsten sind wohl die chronologische und die nach Verfassern geordnete alphabetische Anordnung. Die unterschiedlichen Optionen der Ausgabe auf dem Bildschirm leisten den jeweiligen Anforderungen Genüge: Die "Autorenliste" zeigt nur Autor und Veröffentlichungsjahr und dient dem schnellen Überblick, die "Titelliste" nennt außerdem den vollständigen Titel, während in der "Dokumentenliste" alles zu lesen ist, was die Redaktion der GBD dazu eingetragen hat. Für die eigenen Forschungsinteressen überflüssig erscheinende Titel können leicht eliminiert werden, so daß binnen kürzester Frist eine überaus brauchbare Arbeits- oder Studienbibliographie zu Verfügung steht. Diese läßt sich nun unmittelbar ausdrucken oder als Datei abspeichern und in ein beliebiges Textverarbeitungsprogramm übernehmen und weiter bearbeiten.
Damit aber noch lange nicht genug, denn man kann die einmal ermittelten Resultate auch (fast) beliebig erweitern oder einschränken. Möchte man, um bei unserem Beispiel zu bleiben, etwa zusätzlich zu Velleius als einen weiteren tiberiusfreundlichen Autor Valerius Maximus einbeziehen, so läßt sich mit der Funktion "Recherche erweitern" einfach eine neue Suche durchführen und das Ergebnis dem (schon bearbeiteten) vorherigen Ergebnis hinzufügen (insgesamt 94 Titel).
Hat man andererseits sehr große Datensätze erhalten, so empfiehlt sich bisweilen eine nachträgliche Begrenzung: Eine Titelsuche nach .ovid. (so die beste Form der Eingabe) führt zu 1433 Titeln, ist man aber primär am Verhältnis des Dichters zu Augustus interessiert, kann man durch die zusätzlichen Suchkriterien ".august. oder .politi." und geringfügige manuelle Nacharbeit das Ergebnis auf einschlägige 52 Titel konzentrieren (nebenbei zeigt sich, daß A. Barchiesi, Il poeta e il principe dreifach, C. Korten, Ovid, Augustus und der Kult der Vestalinnen doppelt eingeben wurde, während "Müller, Bertram" in "Müller, Dietram" zu korrigieren ist).
Damit sind die für die alltägliche Arbeit wichtigsten Anwendungen genannt, doch sei noch hingewiesen auf die zusätzliche Möglichkeit der Indexrecherche nach Autor/Jahr (etwa für Personalbibliographien), Textfeld, Zeitschrift, Sammelwerk oder Reihentitel. Mit einem Wort: Jeder Benutzer wird das Suchkriterium finden, das für seine spezifischen Bedürfnisse angemessen ist, sofern der zugrundeliegende Datenbestand diese zu erfüllen im Stande ist. Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei aber angefügt, daß das kein Plädoyer für eine völlige Abschaffung der traditionell gedruckten Bibliographien ist, ein Irrweg, wie er bei der Einstellung der traditionsreichen Archäologischen Bibliographie zugunsten der DYABOLA-CD beschritten wurde. Denn abgesehen davon, daß die Frage der dauerhafte Benutzbarkeit elektronischer Speichermedien noch keineswegs abschließend geklärt ist, gibt es z.B. bei der regelmäßigen Erfassung neuer Titel für die assoziative und intuitive Methode, wie sie beim Durchlesen und Durchblättern eines neuen Gnomon-Faszikels möglich ist, (noch) keinen adäquaten Ersatz.
Aber dennoch: Es sollte selbstverständlich sein, daß die GBD in jeder Bibliothek, zu deren Benutzer Altertumswissenschaftler zählen, vorhanden ist. Doch ihre wahre Stärke kann die GBD erst entfalten, wenn sie neben anderen Nachschlagewerken am Arbeitsplatz des Forschenden bzw. Lehrenden zur Verfügung steht und so schnell und unkompliziert befragt werden kann. Es wäre deshalb wünschenswert, wenn bei der Preisgestaltung nach individuellen und institutionellen Anwendern unterschieden würde, wie das bei vergleichbaren Projekten in den USA Usus ist, um so einen möglichst großen Kreis zur Anschaffung zu ermuntern.
Allerdings könnten Bedenken aufkommen angesichts der Tatsache, daß die CD der GBD mit ihren Aktualisierungen nur einmal im Jahr erscheint, die bibliographische Beilage des `Gnomon' aber viermal. Doch auch dieses mögliche Defizit an Aktualität hat J. Malitz bedacht und dagegen Abhilfe geschaffen. Die einzige Voraussetzung dafür ist, daß der Benutzer einen Zugang zum WorldWideWeb hat (etwa mittels Modem oder über eine feste Verbindung). Denn unter der Internetadresse ("URL") http://www.gnomon.ku-eichstaett.de findet man Nachträge zur CD-Version, die fast täglich ergänzt werden (auch der erste Band des "Neuen Pauly" ist schon erfaßt), außerdem eine repräsentative Auswahl aus den bereits vorliegenden Einträgen, so daß auch hier in Sekundenschnelle Auskunft zu erlangen ist. Technisch bedingt ist das äußere Erscheinungsbild zwar anders als bei der LIDOS-basierten CD-Version, aber auch der ungeübte "Surfer" im WWW wird sich sehr schnell zurechtfinden. Unter derselben Adresse gibt es obendrein Zugang zu zwei weiteren von J. Malitz betreuten Internetprojekten: die "Latin Inscriptions - The Internet Release" (eine Aufarbeitung von Dessaus ILS, der Année Epigraphique von 1988 bis 1992 sowie ausgewählter Inschriften aus dem CIL, z.Zt. 70 000 Texte) und die "Inscriptiones Graecae Eystettenses - A Database for the Study of the Greek Inscriptions of Asia Minor". Der an epigraphischen Fragestellungen Interessierte wird auch diese Angebote nicht mehr missen wollen, doch für diese Besprechung ist das ein zu weites Feld.