2.2. Die Fachdidaktik

Die Fachdidaktik hat bislang von Ovid weitgehend nur als dem Dichter der Metamorphosen[1] und (mit deutlichen Abstrichen) der Ars amatoria[2] Kenntnis genommen, nicht zuletzt wohl durch die "Phasenverschiebung" zwischen fachwissenschaftlicher Umorientierung und schulischer Rezeption. Eine umfassende Beurteilung der elegischen Dichtung, v.a. der des Exils[3], aus didaktischer Sicht ist ein Desiderat. Doblhofers und Fröschs[4] Bemühungen, ihre Ergebnisse über Ovids Umgang mit seinem Los als Verbannter für die Schule nutzbar zu machen, sind verdienstvolle Ausnahmen.
Mit trist. 4,10 selbst ist die Fachdidaktik noch stiefmütterlicher umgegangen als die Fachwissenschaft. Offenbar existiert in neuerer Zeit ein einziger speziell dieser Elegie gewidmeter Artikel: W. Nagel[5] schildert den Versuch, nachdem der Text "übersetzt und erläutert" (sic!) ist, eine psychologische Theorie (die Bedürfnispyramide A.H. Maslows) anhand des Gedichts darzulegen, um die Gültigkeit antiker Texte bis heute aufzuzeigen. Ovids Lebensgeschichte biete dem Schüler unter diesem Gesichtspunkt "eine Hilfe fürs Leben. Sie zeigt, daß bei der Berufswahl nicht materielle Überlegungen oder Vorstellungen und Wünsche Nahestehender im Vordergrund stehen dürfen, sondern der Leitgedanke, daß der Beruf dem einzelnen die Möglichkeiten zu bieten hat, sich selbst weitgehend zu verwirklichen. Dies ist für ihn Garant psychischer Gesundheit und Kreativität im weitesten Sinn und macht ihn in Krisenzeiten widerstandsfähig." Derartiges mag zur Abrundung (ähnlich der Rezeptionsgeschichte) dienlich sein, zur Aufarbeitung des Textes trägt es nichts bei.
So stellt sich trist. 4,10 für den Lateinunterricht weitgehend als terra incognita dar, über die wohl ein Vorurteil ("biographischer Steinbruch"), aber kaum reflektiertes Wissen existiert.


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