5. Ovids Autobiographie im Unterricht
5.1. Die Textgrundlage


Das hier vorgestellte Lektüreprojekt wurde in einer 10. Klasse am Gymnasium Untergriesbach erprobt und nach den dort erzielten Ergebnissen modifiziert. Dabei erhielten die Schülern ein Arbeitsheft[1], das zunächst erläutert sei:

a) Titelseite und Motti
Damit von vornherein ein ansprechender Eindruck von Ovid entsteht, wurde für die Titelseite eine Darstellung Ovids als poeta laureatus (im Besitz des Sulmonenser Humanisten Hercules Ciofanus) gewählt. Dieser ersten Begegnung mit der Rezeptionsgeschichte folgen die Motti: Ovids Selbstbewusstsein vom Überleben in seiner Dichtung, die Wertschätzung Senecas, eines beinahe gleichzeitigen Autors, und Friedrich Torbergs Erinnerung an eine ebenso knappe wie überraschende Einführung in Ovid[2] im Prag der Zwischenkriegszeit, ein Dokument, das in den üblichen Florilegien[3] fehlt.

b) Text
Von Owens Oxfordausgabe weicht nur die Großschreibung Fortunae (8) ab. Auch wenn die Elegie keineswegs in toto zu behandeln ist, erhalten die Schüler durch den ungekürzten Text eine Vorstellung vom Umfang und von Ovids Gewichtung. Aus ähnlichem Grund sind die Zwischenüberschriften in den Kommentarteil verwiesen: Der Text ist mit 130 Versen überschaubar, so daß der Originaleindruck[4] Priorität genießt. Dagegen wird ein graphisches Mittel genutzt, um die Umstellung von Prosa zu erleichtern: Zusammengehörige, aber nicht unmittelbar zusammenstehende Wörter sind durch Kursivdruck[5] hervorgehoben, damit allmählich das Gespür für die in lateinischer Dichtung übliche freiere Wortstellung[6] entsteht.

c) Erläuterungen
Die sprachlichen und inhaltlichen Erläuterungen beruhen auf den vorhandenen Schulausgaben[7], Lucks Kommentar sowie eigenen Ergänzungen[8]. In der praktischen Arbeit zeigte sich, daß die Schüler (durch den Grammatikunterricht weitgehend auf die Lektüre von Prosa vorbereitet) mit Dichtersprache große Probleme[9] haben, weshalb hier Ausführlichkeit angebracht ist. Die Zwischenüberschriften[10] in diesem Teil gliedern die Elegie. Ein wichtiges Element stellen die Abbildungen[11] dar: Sie unterstützen die Auswertung (2: Jahreszählung nach eponymen Konsuln; 3: Wirken der Fortuna, 4: öffentliche Bedeutung von Gladiatorenspielen; 5 und 8: Musen mit ihren durch Attribute bezeichneten Bereiche; 7: Trageweise der Toga; 9: Vergil[12] als Epiker; 11: die Unterwelt nach im Humanismus rezipierter antiker - allerdings vergilischer - Vorstellung; 12: antike Weltkarte zur Lokalisierung von Tomis), zeigen das Nachleben Ovids (1: Sulmona ist noch im 17. Jh. Ovidii patria; 6: Ovid als Barockdichter; 10: Ovid als humanistischer Gelehrter; 13: der Verbannungsgrund) und fördern das affektive Lernziel der Freude[13] an der Beschäftigung mit antiker Literatur. Gerade bei der engen Beziehung Ovids zur bildenden Kunst[14] ist visuelle Unterstützung[15] besonders adäquat.

d) Arbeitsblätter
Um nach Abschluß der Sequenz zusammenhängende Informationen zu Ovid zu besitzen, tragen die Schüler die im Unterricht erarbeiteten Ergebnisse in die Leerzeilen von 3.1. des Arbeitsheftes ein. Auf diese Weise läßt sich über die sonst im Lektüreunterricht üblichen Formen hinaus eine zusätzliche Lernzielkontrolle erheben, die Aufschluß über den Grad des inhaltlichen Verständnisses gibt. Zusammen mit 3.2. (die übrigen Werke und die Verbannung) entsteht eine auch später nutzbare Kurzbiographie Ovids.

e) Bibliographie der Übersetzungen
Es mag paradox scheinen, die Schüler darauf auch noch aufmerksam zu machen. Doch greifen seit jeher Schüler zu vorgefertigten übersetzungen, bei den Metamorphosen meist zur Reclam-Auswahl von Vretska/Plankl, deren sprachliche Gestaltung genügt, um von Ovid auf Dauer abzuschrecken. Deshalb sollte man das Thema "übersetzung und ihre Verwendung" ansprechen und auf Brauchbares und (wie durch G. Fink) sogar sehr Gelungenes hinweisen. Zudem regt ein Titel wie "Die Liebeskunst" vielleicht zur Privatlektüre an, womit zwar nicht der Erfolg beim anderen Geschlecht gesichert ist, wohl aber ein Einblick in das Leben und die Literatur Roms.

f) Übersetzung
Dieser Teil wird anders als der Rest erst geliefert, wenn der Text übersetzt und interpretiert ist, so daß die übersetzung die gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse[17] berücksichtigt. Damit wird der Stellenwert einer dem lateinischen Original angemessenen übertragung (und auch die dafür zu überwindenden Schwierigkeiten) deutlich unterstrichen. Die häusliche Bemühung erhält damit den Charakter einer mehr oder minder weit gediehenen Zwischenstufe. Zudem wird so das Arbeitsheft eine geschlossene und abgerundete "Einführung in Ovid". Kursorisch behandelte Passagen werden begleitend in reiner Lehrerübersetzung geboten.

g) Begleitende Materialien
Diese dienen der Abrundung: Die Leseranfrage in der Fernsehzeitschrift "Gong" (20. 10. 1990), wie man als Schriftsteller den Lebensunterhalt verdienen kann, läßt die Voraussetzungen einer Existenz als Dichter erörtern. Fraenkels Paraphrase einer Controversia Ovids gibt Einblick in die Grundlagen für politische Karrieren in Rom, wobei schon der tenerorum lusor amorum zu spüren ist. Die folgenden Texte zeigen das Nachleben: Brecht sieht in Ovid den exemplarischen Repräsentanten exilierter Dichter; Ransmayr formt eine Passage aus den Metamorphosen in eine öffentliche Rede Ovids um, aus der sich (so Ransmayr) die Verbannung ergibt; der Nürnberger Meistersinger Ambrosius Metzger[18] beweist, daß Ovid in der frühen Neuzeit nicht nur den Gelehrten bekannt war, außerdem kann man im Kontrast Ovids kunstvolle Gestaltung demonstrieren.
Natürlich sind zahlreiche weitere (z.B. mittelalterliche) Texte denkbar, doch darf die Hauptsache nicht von Randerscheinungen überdeckt werden.

h) *Pieter Bruegel: Landschaft mit Ikarussturz
Dieses berühmte Rezeptionsdokument (als Farbkopie vorgelegt) eröffnet zum Schluß eine weitere Perspektive auf Ovids Biographie: Im Exil sah er sich als gestürzten Icarus, der sich zu nah an die göttliche Macht gewagt hatte. Zudem konnte B. Wyss[19] jüngst eindrucksvoll zeigen, daß Bruegel aus den Metamorphosen nicht nur die Icarus-Sage übernimmt, sondern auch die von Phaethon, den beiden Scyllae und besonders den Weltaltermythos, um damit die eigene biographische und zeitgeschichtliche Erfahrung darzustellen. So kann man zwanglos zur Sagenwelt der Metamorphosen übergehen.


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